Von der Montanindustrie zur Industriekultur
Der französische Komponist Maurice Ravel reiste Anfang des 20. Jahrhunderts ins Ruhrgebiet und war begeistert von den Tönen und Farben der Schwerindustrie. Er verglich die Duisburger Industriekulisse mit „Schlössern aus flüssigem Metall“ und „weißglühenden Kathedralen“, die eine „wunderbare Symphonie von Transmissionen, Pfeiftönen und furchtbaren Hammerschlägen“ ergeben. Diese Industrieromantik kann nur ein „white-collar worker“ empfinden, jemand der nicht in diesen Fabriken malochen musste, so jemand wie ich auch. Ich begann mich zu Zeiten der Internationalen Bauausstellung (IBA) Emscherpark für die Industriekultur und den Strukturwandel zu interessieren. Als Radtourenleiterin im Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC) lernte ich das westliche Ruhrgebiet gut kennen. In den Werkshallen von Krupp Rheinhausen besuchte ich 1987 vor deren Abriss noch die Solidaritätskonzerte der Rockgruppe BAP. Ich bin Zeitzeugin dieser Umwandlung von der Industrie- zur Wissensgesellschaft.
Die meisten großen Industriedenkmäler des Ruhrgebietes, die in den 1980er Jahren einer postindustriellen Nutzung übergeben wurden, z.B. der Landschaftspark Duisburg Nord, der Gasometer in Oberhausen und das Weltkulturerbe Zeche Zollverein im Essener Norden, liegen im Emschertal. Von niemandem – weder von Durchreisenden auf dem sog. Emscherschnellweg (A42), noch von Anrainern – wird allerdings die Umgebung des oberirdischen Abwasserkanals von Dortmund bis Dinslaken als ein Tal empfunden, auch nicht als ein Fluss mit einem Delta, das schmale Land zwischen Emscher und Rhein-Herne-Kanal nicht als Insel.
Vom Abwasserkanal zum Naherholungsgebiet mit Kunstausstellung
Dieser oberirdische Abwasserkanal wurde erst 1899 durch die Gründung der Emschergenossenschaft ermöglicht. Erst mit der Beendigung des Kohlebergbaus im Ruhrgebiet wird es möglich, den unterirdischen Emscher-Abwasserkanal (AKE) zu bauen, der die Voraussetzung für die Revitalisierung dieses toten Gewässers ist.
Die „Emscherinsel“ zwischen Oberhausen und Castrop-Rauxel zog im Jahr der Kulturhauptstadt RUHR.2010 aller Leute Augen und Nasen auf sich. Mit der Emscherkunst.2010 schuf die Emschergenossenschaft das größte, teuerste und ehrgeizigste Projekt der Kulturhauptstadt. Von nun an sollte der Emscherumbau durch eine große Kunstausstellung im öffentlichen Raum begleitet werden. Die Abwässer der Emscher und ihrer ebenso übel riechenden Nebenflüsse sollten für immer unter der Erde verschwinden, No Go Areas zu Orten mit Aufenthaltsqualität und Wohlfühlambiente werden. Auch der Rhein-Herne-Kanal wurde zum Kulturkanal, nicht zuletzt durch die Brückenskulptur Slinky Springs to Fame von Tobias Rehberger.
Rückblick: 100 Tage Emscherkunst.2013
Stillgelegte Kläranlagen werden zu neuen Orten der Kultur und der Begegnung: 2010 in Bottrop Ebel und 2013 in der Kläranlage Kleine Emscher in Duisburg-Fahrn. Die Standorte der Kunstwerke verschoben sich nach Westen bis zur Emschermündung in den Rhein. Neue Themen, wie der Klimawandel, soziale Spannungen in Stadtteilen, wurden in 2013 thematisiert, das „Wohnen im Kunstwerk“ ausgebaut. Die Partizipation der Bevölkerung ist ausdrücklich erwünscht bei solchen Kunstwerken wie Playland von Apolonija Šušteršič und Breaking New von Anna Witt und UglyCute. Auch lokale Künstler werden mehr eingebunden.
Die ökologische Umgestaltung der Emscher wird Auswirkungen auf das gesamte Ruhrgebiet haben, auch auf die Nichtanrainerstädte. Der Mündungsbereich wird in den nächsten Jahren komplett ökologisch umgestaltet. Dazu wird die Mündung ein drittes Mal nach Norden verlegt. Die Kommunen versprechen sich dadurch auch ökonomischen Fortschritt und einen Gewinn für den Tourismus in der Metropole Ruhr.
„Warten auf den Fluss„, die brückenartige Skulptur aus recyceltem Holz aus Rotterdam war das beliebteste Architekturkunstwerk beider Triennalen. Rechts im Bild: Es warten an einem sonnigen Sommertag einer der drei Künstler der Gruppe Observatorium, Geert van de Camp, und die beiden Gästeführer Brunhilde und Klaus auf einer Vortour.
Ausblick: Emscherkunst.2016
Die Akteure des Transformationsprozesses warten nicht untätig. Es bleibt spannend, was nach der diesjährigen Triennale passiert. „Warten auf den Fluss“ ist unter uns Gästeführern schon ein geflügeltes Wort geworden und wird uns hoffentlich auch während der Emscherkunst.2016 begleiten an einer anderen Stelle im Emschertal.
Während in 2010 der Slogan noch hieß: „Es ist nicht schön, aber es ist echt.“, so kamen die vielen Besucher in diesem vergangenen Sommer 2013 nicht umhin, viele Orte an der kleinen, großen, alten Emscher sehr schön zu finden. Und die anderen Sinne waren auch angenehm überrascht von der fortschreitenden Veränderung. Der Hinterhof des Ruhrgebiets wird nach und nach zu einem vorzeigbaren Vorgarten, eben dem „Emschertal„.
Der Titel ist eine Anspielung auf das Buch „Emscher 3.0. Von Grau zu Blau oder wie der blaue Himmel über der Ruhr in die Emscher fiel“, Wuppertal Institut für Kllima, Umwelt, Energie GmbH (Hg.), Verlag Kettler 2013, dessen Lektüre ich wärmstens empfehlen kann.